Donnerstag ist’s in goldenherrlicher Frühlingszeit. Im Collège ist fröhlicher Sonnenschein in allen Herzen; denn heute geht’s hinaus auf die Gänsweid, auf die alte bezaubernde Gänsweid, die natürlich heute ein regelrechter, von prächtigen Platanen beschatteter Sportsplatz ist.
Rechts und links des Weges grüssen lachende Blumen, über uns trillert die Lerche in schrankenloser Seligkeit, gaukeln wonnetrunken bunte Falter. Fröhliches Geplauder reihauf, reihab. Allerhand Lustiges aus Klasse und Etude.
Nun sind wir da. Vor uns weitet sich der smaragdene Grasteppich des geliebten Spielplatzes. Ein schriller Pfiff: ,,Défendu d’aller dans la forêt ou de rôder dans les haies! Défendu également de se coucher par terre! Tout le monde doit jouer!” So tönt es eindringlich. Alles eilt ans Spiel, ans freie, ungebundene Spiel in dieser frühlingsschönen Gotteswelt. Jeu au drapeau, aux barres, à la planchette, au chasseur etc. Aux barres hat am meisten Zulauf; der Frère ist dort selber Spielleiter. Als solcher ernennt er zwei Chefs, die besten Läufer des jungen Volkes, Fernand und Paul. Fernand ist zwar eine große Null in der Klasse und gewöhnlicher Inhaber des letzten Platzes, aber Sportsmensch mit Leib und Seele, beim Spiel voll Tatkraft, Feuer und Umsicht, die in Erstaunen setzen. Er und Paul haben zu wählen, zu urteilen, zu verfügen, sie sind die mächtigen Spielkönige der Gänsweid. Vierzig Mann in langer Reihe harren ungeduldig ihres Urteilsspruchs. Die beiden Chefs kennen ihre Pappenheimer, den Spielwert eines jeden, ihren Mut, ihre Kraft, ihre Schlauheit. Prüfend gleiten ihre Blicke über die lange Reihe. Jeder will sich die besten herausholen. Da gilt keine Freundschaft; nur Geschick und Tüchtigkeit eines jeden entscheiden. Fernand denkt, wenn ich den Hans, den Chari und den Lucien habe, dann geht es, dann ist der Sieg mein. Der Frère wird der ersten einer gewählt; denn der gilt noch ais eine gute Kraft, ist nicht nur ausdauernd im Spiel, sondern auch listig und bringt oft Gefangene ein,. Noch zehn Ungewählte stehen ungeduldig, fast beschämt da; alles minderwertige Ware. Der dicke Jean zum Beispiel, nach seiner eigenen Meinung Mittelpunkt des Universums, auf dem Spielplatz aber die lächerlichste Figur mit seinen ungelenk-komischen Sprüngen wird gewöhnlich beim ersten Treffen schon gefangen. Dann der leichtsinnige, unvorsichtige Albert. Er hat Augen und Ohren nie beim Spiel. Eine Mücke, ein Vogel, ein vorbeifliegender Ball, ein Schrei vermögen seinen flatterhaften, willenlosen Geist zu bannen, das Spiel aber nicht. Noch stehen einige da. Zweifelnd trifft sie der Blick der beiden Chefs. Sie würden sie am liebsten zum Kuckuck jagen; aber der Frère ist da, und, was sich zum Spiel meldet, sagt er, müsse unbedingt gewählt werden. Der Letzte ist der schmächtige Seppele, erster seiner Klasse. Keiner mag diesen Spieluntauglichen. ,,Er kann ja immerhin die Gefangenen hüten”, meint der Frère.
Dankesfroh blinzelt der gedemütigte Seppele zu seinem Fürsprecher hinüber. Auch er wird gewählt, und das Spiel beginnt. Es wird hier zu ernster Arbeit, wo sich Kraft und Geschick, Mut und Entschlossenheit in heißem Wetteifer entfalten. Die beiden Chefs übertreffen sich in List und Ausdauer, erteilen Kommandos, feuern ihre Kolonnen an, warnen die Unvorsichtigen und Übereifrigen, tadeln die Träumer und die Schlappen, drohen mit Ausschluss.
Endlich ist der Sieg errungen. Gagné! Gagné! jubelt es. über die Gänsweid, und die seligflötende Schwarzamsel im nahen Gebüsch hält einen Augenblick inne. —, Dieser Fernand hat wiederum den Sieg an seine Fahne geheftet. Ergrimmte Gesichter bei den Besiegten. Verschiedene kriegen gelinde Rippenstösse von ihrem grollenden Chef; dann gibt er noch einige geheime Befehle, ermutigt seine geschlagene Schar, und mit erneuter Kampfbegier rast das junge Volk über den duftigen Spielplatz. Nur eine alte störrische Nummer, der niezufriedene Caspar, drückt sich knurrend beiseite. Er will die Schande einer neuen Niederlage nicht miterleben. Dafür tritt im andern Lager der Frère aus, um seine Rund machen zu können.
1m nahen Gebüsch überrascht er einige Strolche, die nach Vogelnestern pirschen. Die ganze Sektion muss im allerraschesten Tempo ans Spiel. - Am Teiche ertappt er den schlimmen Hans auf seiner neuesten Gräueltat. .Er ergötzt sich an einigen Fröschen, die, an eine Schnur gebunden, vergebens in ihr nasses Element zurückzerren. Endlich werden nach einige wenig Sportliebende, die sich’s trotz des Verbotes am Boden gemütlich gemacht haben, mit heilsamen Bussen bedacht.
Wie schnell die Zeit verrinnt beim muntern Spiel! Schon halb vier - der Frère pfeift. das große Halt. Schlaff sind die Beine und matt die Brust; aber hochzufrieden reiht die Kolonne sich zum Heimweg.
Rings im Busch singen uns die lieben Vöglein ihr Abschiedslied. Drein mischt sich das Quak-Quak der Sumpfmusikanten; im Blütenflor der Kirschbäume an der Strasse summen die fleißigen Bienlein, fern drüben grüssen Wasgau’s blaue Berge.... ,,L’Alsace ravissante .. . .“ schallt’s freudig bald da aus allen Kehlen. Ja schön ist in Matzenheim so ein Frühlingsdonnerstag, wenn’s auf die liebe ,,Gänsweid” geht!
Einer, der’s mitgemacht.